Bildungszentrum Aschersleben
Der Ortskern der Kleinstadt Aschersleben wird seit dem Jahr 1912 durch ein übergroßes Fabrikgebäude bestimmt, das im Volksmund als »Hecknerriese« bezeichnet wird. Der Name geht auf den Erbauer zurück, den Architekten Hans Heckner, der in dieser Stadt bis in die dreißiger Jahre mehrere bemerkenswerte Bauten errichten konnte. Seine an die Arbeiten Theodor Fischers erinnernde Sprache beruht auf dem Begriff des »Weiterbauens«, der Aspekte der heutigen Architekturdiskussion widerspiegelt.
In den letzten Jahren verkam das große Fabrikgelände zu einer Brache – bis sich die Stadt entschloss, unter Abbruch eines Teils der Fabrikgebäude den eigentlichen Hauptbau zum Bildungszentrum umzunutzen und um einen Neubau zu ergänzen. Dazu hatte Aschersleben einen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem nicht nur Pläne für die Hochbauten, sondern zugleich auch die städtebauliche Neuordnung des gesamten Geländes mit größeren Freiflächen gefordert wurden. Diese sollten Grundlage und Teil einer geplanten Gartenschau werden.
Wir zeichneten einen sich senkrecht zum Altbau erstreckenden Riegel, der einen das Quartier von Süden nach Norden querenden Park ermöglicht. Dieser ist das eigentliche Verbindungsstück zwischen den beiden großen Parkanlagen der Stadt, die nunmehr zu einem Grünzug vereint werden konnten.
Leider war der Gedanke, drei Schultypen in einem Volumen zu vereinen, nicht vollständig durchzuhalten. Dieser Umstand führte während des Planens und Bauens zu ständigen Korrekturen. Bemerkenswert ist aber nach wie vor die Vorstellung, den Stadtkern einer schrumpfenden Stadt eher zu stärken – eine hervorragende politische und stadtplanerische Entscheidung. Sie bescherte der Gemeinde Räume für Bildung, die nach den aktuellen Richtlinien für Schulbauten weit weniger üppig ausgefallen wären.
Die enorme Tiefe des »Hecknerriesen« gestattete den Einbau einer zentralen Halle, die die einzelnen Geschosse über Galerien verbindet. Nunmehr zwei Schultypen teilen sich diesen Raum. Im neuen Riegel findet sich zusätzlich Platz für Kreativräume und eine Galerie, die der Druckgrafik des teilweise in Aschersleben aufgewachsenen Malers Neo Rauch gewidmet ist.
Charakteristisch für den Neubau ist das rhythmische Auf und Ab der Dachlinie, die zwischen dem großen Fabrikbau im Süden und den nördlich gelegenen Stadthäusern am anderen Quartiersende vermittelt. Da sich dort ebenfalls zwei Schuleinheiten befinden, entsteht durch die Anordnung des Neubaus ein Bildungscampus.
Leider konnte die alte Fassade nicht ohne Bruch in die neue Ansicht übergehen, weil die Denkmalpflege, noch ganz in der Vorstellung des 20. Jahrhunderts verhaftet, Alt und Neu durch eine sichtbare Fuge getrennt sehen wollte. Abgesehen davon wird durch die behutsame Sanierung die Qualität der Architektur Heckners wieder sichtbar. Die Fassaden des Neubaus sind mit einer sandfarbenen, groben Schlämme überzogen, um zu den in warmen Grautönen gehaltenen Gebäuden der Umgebung eine harmonischen Verbindung herzustellen.
Bauherr:
Stadt Aschersleben
Architekten:
Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
Mitarbeit:
Katja Pütter, Anne Egenhofer, Arno Schone, Christian Wendlandt, Marco Garcia-Barth
Projektsteuerung:
Hartewig Mölle Consult, Magdeburg
Tragwerksplanung:
Ingenieurbüro Fankhänel und Müller, Leipzig
Wettbewerb:
2006 – 1. Preis
Bauzeit:
2008 – 2010
BGF:
12.159 qm (Gesamtmaßnahme)
7.704 qm (Bestand)
4.455 qm (Neubau)
Standort:
Wilhelmstraße 22, 06449 Aschersleben
Auszeichnungen
best architects 11 Award
Engere Wahl zum Architekturpreis des Landes Sachsen-Anhalt 2010
Veröffentlichungen
BAUKULTUR Zeitschrift des DAI
5 | 2016
Top Objekt 19
Hagemeister, 2015
Costruire in Laterizio
4 | 2014
Lederer, Arno / Ragnarsdóttir, Jórunn / Oei, Marc (Hg.):
Lederer Ragnarsdóttir Oei 1.
Jovis Verlag Berlin 2012
Klaus-Jürgen Schneider, Georg Sahner, Ronald Rast (Hg.):
Mauerwerksbau aktuell 2012.
Berlin 2012
Metamorphose
2 | 2011
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.):
Architektur in Deutschland. Deutscher Architekturpreis 2011.
Berlin 2011
Costruire in Laterizio
325 | 2010
Bauwelt
17-18 | 2010
Werk, Bauen + Wohnen
11 | 2010
Deutsche Bauzeitung
8 | 2010
Deutsches Architektenblatt
4 | 2010
Baumeister
1 | 2010
Best Architects Documentation
Düsseldorf 2010
Fotos
Roland Halbe, Stuttgart