Verwaltungsgebäude Plochingen
Für das Landratsamt Esslingen wurde als Ergänzung eines umgenutzten Bestandsbaus aus den 1970er Jahren (ehemaliges Krankenhaus) ein Neubau in einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) entwickelt. Die beiden Gebäude auf einer Anhöhe über der Stadt Plochingen bieten Ausweichflächen für verschiedene Verwaltungseinheiten und neue attraktive Büroräume für das Landratsamt.
Umlaufende Auskragungen aus Betonfertigteilplatten gliedern die Ansichten horizontal und lassen die fünfgeschossige Struktur flach gelagert, leicht und transparent erscheinen. Die weiten Überstände der Platten dienen genauso der Verschattung wie auch als konstruktiver Holzschutz für die Elementfassade, sie nehmen aber auch automatisch bewässerte Pflanzkübel auf, die sich als völlig neue Interpretation des Begriffs Fassadenbegrünung lesen lassen. Die bis zu 225 Verwaltungsmitarbeiter schauen über Rosenstöcke und Gräser hinweg in die Landschaft – selbst bei heruntergefahrenen Jalousien, die ihre volle Wirkung bereits auf halber Geschosshöhe entfalten.
Gebäudestruktur
Ein überdachter Gang bietet auf geschlängeltem Grundriss eine angenehm zu gehende, regengeschützte Verbindung zwischen Alt- und Neubau. Er trennt den Vorplatz mit Publikumsverkehr von einem ruhigen, zum Tal hin gelegenen Freibereich ab und überbrückt dabei mit seinem Untergeschoss einen beträchtlichen Höhensprung.
Der Grundriss des Neubaus beruht auf einer quadratischen Lageplanfigur, die nach allen Richtungen Aussicht aus den Verwaltungsräumen heraus in die umgebende Landschaft ermöglicht. Zusammen mit dem in den Baukörper eingeschnittenen Innenhof ergibt sich ein sehr einfaches, pragmatisches Grundrissprinzip.
Im Foyer im Erdgeschoss befinden sich der Info-Point, die Zahlstelle und ein großzügiger Wartebereich. Über die zentrale Anmeldestelle gelangen die Besucher zu den Schalterbereichen des Ausländeramts.
Im westlichen Gebäudeteil finden sich hauptsächlich die halböffentlichen und internen Räume, im östlichen die öffentlichen. Die Grundrisse wiederholen sich in den darüber liegenden Geschossen. Somit lässt sich der westliche Teil frei von Störungen durch Publikumsverkehr nutzen.
Die Treppenhäuser ermöglichen den direkten Zugang zu den jeweiligen Büroclustern mit ihrer Mischung aus Zellenbüros und offenen Strukturen, ohne dabei andere Bereiche kreuzen zu müssen. Dadurch ist auch in offenen Bereichen ungestörtes Arbeiten möglich.
Die Wege in den Obergeschossen erlauben allerdings auch den Ringschluss und dienen beide Treppenhäuser direkt an. Somit können einzelne Abteilungen aufgrund der Flexibilität beliebig wechseln, wachsen oder schrumpfen.
Die klare Struktur mit nur wenigen abgehängten Deckenelementen und Glastrennwänden zu den Erschließungsflächen hin ermöglicht einfache Teilungen und trägt überdies zur leichten Orientierung im Gebäude bei.
Optimierung
Durch die kompakte Gebäudeform lassen sich im Verhältnis zur Nutzfläche die Hüllflächen gering halten, folglich auch die Energieverluste im Winter und der solare Hitzeeintrag im Sommer – letztlich der ökologische Fußabdruck insgesamt. Dazu tritt die Dreifach-Isolierverglasung der mit einer leicht pigmentierten Dickschichtlasur gegen UV-Strahlung und Wetter geschützten Holzelementen (Eiche).
Die Balkonplatten übernehmen überdies die Funktion des konstruktiven Holz- und Sonnenschutzes und ermöglichen so, dass die textilen Sonnenschutz-Rollos nur bis zur halben Geschosshöhe geführt werden müssen und der freie Blick in die Umgebung gewahrt bleibt. Dadurch und durch den weiten Abstand von der thermischen Gebäudehülle bleibt das Gefühl der Offenheit stets erhalten wie auch die freie Luftzirkulation – wichtige psychologische Faktoren, zu denen auch die Möglichkeit gehört, jederzeit ein Fenster öffnen und auf natürliche Weise lüften zu können.
Aufgrund der bislang guten Erfahrungen mit dieser Technik wurden die entlang der Fassaden liegenden Büros mit dezentraler Belüftung ausgestattet. Dieses System reduziert den Raumbedarf für Lüftungszentralen und Kanalführungen, was zu signifikanten Einsparungen führt. Oft wird vergessen, dass die notwendigen Räume für herkömmliche zentrale Lüftungssysteme ein beträchtliches finanzielles Volumen ausmachen. Auch zur Nachtauskühlung und zur Abdeckung der thermischen Spitzenlasten werden die dezentralen Geräte in den Brüstungen herangezogen, ebenso wie weitere Lüftungsgeräte in den Technikzentralen, welche die Belüftung der innenliegenden Flurzonen übernehmen.
Die Grundlasten für Heizen und Kühlen übernehmen die thermisch aktivierten Betondecken.
Frei hängende Deckensegel sorgen für eine angenehme Raumakustik.
Zur kostengünstigen Kühlung der Raumluft kommt das Prinzip der Adiabatik (Kühlung durch Wasserverdunstung) zum Einsatz. Dazu treten Wärmeaustauscher, ein hoher Grad an Tageslichtnutzung, eine hocheffiziente LED-Beleuchtung und der Betrieb zweier Luft-Wasser-Wärmepumpen. Die Dachflächen sind an geeigneten Stellen extensiv begrünt und ansonsten großflächig mit einer PV-Anlage belegt.
Alles in allem ergibt sich der sehr hohe Standard eines KfW 40 Effizienzhauses.
Anfallendes Regenwasser wird in zwei Zisternen gesammelt und über eine Regenwasser-Nutzanlage zur Bewässerung der Außenanlagen, Pflanztröge und für weitere Außenentnahmestellen genutzt.
Bauherr:
Landratsamt Esslingen
Architekten:
LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
Mitarbeiter LRO:
Sophie Röcker, Sandra Pirmann, Margherita Adamo
Verfahren:
Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb 2019
Projektmanagement:
PSB Wasner GmbH
Generalübernehmer:
Georg Reisch GmbH & Co. KG
Architekt LPH 6-8:
Göppel Strittmatter Halling, Ludwigsburg
Tragwerksplanung:
Ingenieurbüro tragwerkeplus, Reutlingen
Prüfstatik:
Ingenieurbüro Sigler Schumer Spieth, Nürtingen
Haustechnik:
Ingenieurbüro Kaufer & Passer, Tuttlingen
Elektroplanung:
Ingenieurbüro Werner Schwarz, Ravensburg
Bauphysik:
Herz & Lang GmbH, Weitnau
Freianlagenplanung:
Kovacic Ingenieure, Sigmaringen
Abdichtungsplaner:
SRP Sennewald + Räsch, München
Geologe:
BWU BodenWasserUntergrund, Kirchheim/Teck
Brandschutzgutachter:
Ingenieurbüro Manfred Oelmaier, Biberach
Vermessungstechnik:
Vermessungsbüro Joachim Sigmund, Plochinge
SiGeKo:
Hess-Sachverständige, Kirchheim/Teck
Planungsbeginn:
11/2019
Bauzeit:
05/2020 bis 01/2022
Einweihung:
07/2022
BGF:
9.918 qm
Hauptnutzfläche:
5.623 qm
Standort:
Am Aussichtsturm 7, 73207 Plochingen
Auszeichnung
nominiert für den DAM Preis 2024
Veröffentlichungen:
Baunetz
11|2022
AIT
12|2022
Stuttgarter Zeitung/Nachrichten
4.2.2023
Bau der Woche – German-Architects.com
03|2023
Yorck Förster, Christian Gräwe, Peter Carola Schmal (Hrsg.)
Architekturführer Deutschland 2024
Berlin, DOM Publishers, 2023
Nachhaltige Baukultur.
Ressourcenschonend planen. Edition 1:100
Münster, Deutscher Architektur Verlag, 2024
Fotos:
Roland Halbe